Berufsunfähigkeit – Wie die Versicherungsbranche profitiert und Versicherte verlieren


In den Medien wird in letzter Zeit zunehmend eine Berufsunfähigkeitsversicherung auch für Studenten , Schüler und Kinder beworben. Weil ich dies kritisch sehe, habe ich mich in folgendem Beitrag mit dieser Versicherungsart auseinander gesetzt.

Die Unsichtbare Gefahr: Wenn Arbeit krank macht

Berufsunfähigkeit betrifft in Deutschland jeden Vierten im Laufe seines Erwerbslebens – eine erschreckend hohe Zahl. Dennoch ist der Schutz davor gesetzlich kaum noch vorhanden. Seit dem 1. Januar 2001 ist die Berufsunfähigkeitsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung (GRV) faktisch abgeschafft – und durch die deutlich schlechtere Erwerbsminderungsrente ersetzt worden. Doch diese Entscheidung war keineswegs zufällig. Ein genauer Blick zeigt: Die private Versicherungswirtschaft hatte ein starkes Interesse daran.

Von der Solidarität zur Eigenverantwortung – oder zum Verkaufsargument?

Bis Ende 2000 galt: Wer seinen erlernten oder ausgeübten Beruf aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr ausüben konnte, bekam eine staatliche Berufsunfähigkeitsrente.
Heute ist das anders: Nur wer gar keinen Beruf mehr ausüben kann – unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts – und das maximal 3 oder 6 Stunden pro Tag, hat Anspruch auf die gesetzliche Erwerbsminderungsrente. Diese liegt im Schnitt bei unter 900 Euro monatlich – oft deutlich weniger.

Diese Schwächung der sozialen Absicherung wurde unter dem Deckmantel der Reformierung des Sozialstaats durchgesetzt. Doch Fachkreise und Verbraucherschützer kritisieren seit Jahren:

Die Versicherungsbranche war maßgeblich beteiligt an der politischen Kommunikation, die den gesetzlichen BU-Schutz als „unbezahlbar“ darstellte.

Die Folge? Ein Milliardenmarkt für private Berufsunfähigkeitsversicherungen, der heute gezielt auf die entstandene Lücke in der GRV aufsetzt.

Profit durch Panik: Die Rolle der Versicherungswirtschaft

Kaum eine Versicherungsform wird so aggressiv beworben wie die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU).
Und das aus gutem Grund: Sie ist komplex, teuer und langfristig lukrativ – vor allem für Anbieter. Die Abschaffung der gesetzlichen BU-Rente hat den Boden bereitet: Wer heute umfassend geschützt sein will, muss privat vorsorgen.

Zugleich ist die BU aber auch die Versicherung, die am häufigsten abgelehnt wird – wegen Vorerkrankungen, Berufsrisiken oder zu hohem Eintrittsalter. Besonders betroffen:

  • Schüler an Haupt- und Realschulen
  • Azubis in körperlichen Berufen
  • Pflegekräfte, Handwerker, Solo-Selbstständige

Die Ironie: Gerade diejenigen mit dem höchsten BU-Risiko erhalten am schwersten Versicherungsschutz.

Undurchsichtige Bedingungen, versteckte Stolperfallen

Viele BU-Verträge enthalten komplexe Klauseln – etwa zur Verweisung:

  • Abstrakte Verweisung (veraltet, heute meist ausgeschlossen): Versicherer kann auf irgendeinen anderen Beruf verweisen.
  • Konkrete Verweisung: Versicherer kann Leistungen verweigern, wenn der Versicherte nachweislich eine neue Tätigkeit aufnimmt, die seiner Lebensstellung entspricht – auch wenn er im alten Beruf berufsunfähig bleibt.

Zudem sind Kombiprodukte wie Kapitallebensversicherung mit BU-Zusatz beliebt – vor allem bei Vertrieben. Doch Fachleute warnen:

Solche Kombinationen sind teuer, unflexibel und intransparent. Im Fall von Kündigung oder BU gehen häufig Sparanteile und Absicherung verloren.

Wer profitiert wirklich?

Die Abschaffung der gesetzlichen Berufsunfähigkeitsrente hat einen klaren Verlierer: den Versicherten.
Statt einer solidarischen Absicherung muss er sich nun in einem bürokratisch und gesundheitlich selektierenden Privatmarkt bewegen – oft mit dem Ergebnis:
zu teuer, zu spät oder abgelehnt.

Gleichzeitig wächst die Macht der Versicherer:

  • Sie bestimmen, wer versicherbar ist
  • Sie entscheiden, was Berufsunfähigkeit bedeutet
  • Sie profitieren von einer gesetzlich geschaffenen Lücke

Die Debatte über die Rolle der Lobbyarbeit bei der Rentenreform von 2001 wurde nie ernsthaft öffentlich geführt – doch sie ist längst überfällig.

Fazit: Augen auf bei der BU – und bei der Politik

Die private Berufsunfähigkeitsversicherung ist heute unverzichtbar – aber sie ist auch ein Symptom politischer Verschiebung, weg von kollektiver Sicherheit hin zur Individualverantwortung auf Risiko des Einzelnen.

Verbraucherschutz bedeutet heute nicht nur gute Vertragsbedingungen – sondern auch, zu fragen: Warum wurde die gesetzliche Absicherung überhaupt abgeschafft? Und wer hat davon profitiert?

🛑 Empfehlung:

  • Keine Kombiprodukte (z. B. BU + Kapitallebensversicherung) abschließen
  • Unbedingt auf Verzicht auf Verweisung achten
  • Eigenständige BU + flexibler Vermögensaufbau (ETF, Rentenversicherung)
  • Früh abschließen – ideal: als Schüler oder Azubi mit Nachversicherungsgarantie

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